kunst mit photographie
peter-michael weber

kunst im steinbruch und atelier
hailfingerstraße 24
72119 ammerbuch-reusten
telephon: 07073-8522343

öffnungszeiten: nach vereinbarung unter
pmweber(a)pm-weber.de

letzte änderung:
22. april 2024

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6 - woher weht der wind

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distanz

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Photos privat 06

Idole aus Keramik und Bytes.
Bemerkungen zu einer glücklichen Synthese

„Wächter 1“ (U.K-R.). Klare gerade Linien steigen schlank verengt nach oben, die oval gebundene Mimik scheint von erhöhter Stelle alles zu übersehen – und doch ist ihr Blick seltsam abwesend. Die Wächterin, worüber wacht sie? Frauenfiguren frühgeschichtlicher Zeit waren Mutterfiguren; sie sicherten und wachten über die Fruchtbarkeit. Doch wo ist der runde Bauch, wo die üppigen Brüste, wo das spendende Leben, das sich fortzeugen will ins nächste und übernächste Glied? Wo früher die Angst vor ausbleibender Fruchtbarkeit sich in übersteigerten Geschlechtsphantasien und Kultpraktiken Luft verschaffte, wo alle Formen rund und gleichsam nah der Ackerfurche blieben, strebt nun ein viriler Frauenkörper vom Boden fort. Nicht länger verdankt sie ihren runden Bauch dem fruchtbaren Nordwind oder einem gütig gebendem Gott; ihre aufrechte Haltung verdankt sie ihrem eigenem, wie es scheint selbst-erworbenem, metallenem Außenskelett. Nein, kein Mann. Sie sichert nicht länger die Fruchtbarkeit der Gemeinschaft, sie wacht über ihre eigene Autarkie, über Selbstbestimmung und Selbstherrschaft. Frau ist in der Gegenwart angekommen. Und doch, ihr Widerspruch ist der der Figur. Das moderne Metall fasst das Alte ein, Keramik, Ton, Erde – Fruchtbarkeit. Die Wächterin als Zeichen (Icon) einer postfeministischen Zeit: die Figur exemplifiziert in sich bereits den Widerspruch, den sie bedeuten will.

„Wächter 2“ (P-M.W.). Umrisse, Schatten, Verdopplungen, Farbkonturen, und doch das selbe Motiv: drei Wächter(innen). Digitale Fotoeffekte machen sichtbar, was dem Blick zunächst verborgen blieb; hartes Licht für unsichtbare Kontexte und Texturen. Wir sehen Frauen, die – gleich weißen Larven, die das Licht scheuen – sich hinter ihrer Erscheinung als Wächter nur verstecken. Die Wächterganzkörpermaske wirkt nun löchrig, zerfressen, dünn wie Seidenpapier; zudem ist sie zu kurz, verdeckt nicht völlig, die Passung franst nach unten hin aus. Und doch zeigen die Larven nun Leben: Haupthaar wird sichtbar. In „Wächter 3“ sehen wir, dass Figuren plötzlich doch ein Bauch schwillt – wenn der Kopf unter den Nabel rutscht. Die Brustwarzen werden zu stechend blickenden Augen (schon in „Wächter 2“ schaut die mittlere Figur aus ihren Brüsten heraus), das Schamdreieck ist verrutscht, disloziert, vervielfältigt. Alles Klare und Geordnete der Skulptur zieht sich zurück auf das, was die Rauheit der Keramikoberfläche ihrem fotographischen Widerpart gleichsam herausätzt; grau-blaue Schemen sind, was bleibt. Das Bild spricht mit der Skulptur und berichtet von einer Täuschung; die wachende Autarkie war nur eine Maske, was bleibt, sind Schemen eines Traums.

Wenn Kunst spricht, muss sie etwas aussagen, sich mit Zeichen auf etwas anderes, das Bezeichnete, beziehen. Ein Wort bezeichnet einen Gegenstand, ein rot gerandetes Dreieck eine Verkehrsgefahr. Wie sprechen Skulptur und Bild? Es kann ja nicht die Sprache einer exakten und vollständigen Reproduktion ihrer Objekte sein. Denn Exaktheit erzwingt die Fixierung auf eine Momentaufnahme, doch zu kurze Belichtungszeit lässt den Springbrunnen einfrieren und ein Rennpferd im Galopp verharren. Vollständigkeit dagegen heißt, gerade nicht zu akzentuieren und somit auf eigenen Inhalt zu verzichten. Der Künstler muss vielmehr das Mäandern und Schillern des Wirklichen in langer Erfahrung so in seine Sprache übersetzen, dass in der Einheit des Kunstwerkes das vormals Vielfältige gesammelt zum Ausdruck gelangt.

Die Semiotik des Charles S. Peirce nennt ein Zeichen, das durch Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten selbst exempliziert, was es bezeichnet, ein „Icon“; ein „Index“ ist dagegen ein Zeichen, das in einer situationsbedingten (etwa kausalen) Beziehung zum Bezeichneten steht, während ein „Symbol“ rein auf Grund von Verabredung (konventionell) denotiert. Nelson Goodman betont, dass ein Kunstwerk nicht die Darstellung, sondern die Repräsentation eines Objektes ist, d.h. es fungiert als Bezeichnung für eine neue Verortung desselben, indem es durch Weglassen, Hinzufügen oder Variation von Aspekten und Kontexten das Objekt in neuer Weise – treffender, wirkungsvoller, erhellender, subtiler, fesselnder, etc. – definiert. Insofern Kunst erfolgreich mit uns kommuniziert, erzeugt sie so Ausschnitte der Welt neu.

In dem kleinen Stück Werkinterpretation zu Anfang habe ich an einem Beispiel versucht deutlich zu machen, wie die Skulpturen von Ursula Kling-Rau und die Bilder von Peter-Michael Weber ihre Objekte im genannten Sinne neu definieren, sich dabei aber verschiedener Sprachen der Kunst bedienen: während die Skulpturen einen hohen iconischen Zeichenwert haben, arbeiten die Bilder eher mit einer indexikalischen und symbolischen Zeichensprache. Die Gegensätze in Material und Sprache, die sich hier so glücklich ergänzen, gehen weiter. Die Keramik beginnt, das Bild setzt fort; erstere spricht klar, scharf konturiert, manchmal rauh, letzteres deutet an, bleibt umrisshaft, holt die Dinge aus der Aktualität in ihre Potenzialität zurück; hier irdener Stoff und traditionelles Handwerk, dort digitale Informationen und image processing wizardry. Und dann vereinen sich die Gegensätze auch wieder; man beachte etwa, wie sich – dank einer von nur wenigen gemeisterten keramischen Drucktechnik â€“ auf S. 21–23 gedrucktes Bild wieder in die Keramik aufgenommen findet.

Beide haben ihr Handwerk gelernt. Ursula Kling-Rau war als Keramikerin und Restauratorin auf Grabungsstätten im Nahen Osten und lange Zeit an einem archäologischen Institut mit der Wiederherstellung früher Kunst betraut. Peter-Michael Weber ist im Hauptberuf wissenschaftlicher Fotograf und Graphiker. Zusammen gelingt Ihnen etwa ganz Eigenes und, wie ich finde, etwas ganz Wunderbares, Kunstwerke nämlich, die Epochen miteinander verbinden, Sprachen und Handwerke in einen Dialog miteinander bringen und so zu einer völlig neuen Ausdrucksweise kommen, eine, die direkt zu uns spricht.

Bernd Buldt, im Juli 2005